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Betreff: Modellprojekt Weiterentwicklung inklusiver Schule; Einführung einer systemischen Schulbegleitung an der IGS Geismar (Georg-Christoph-Lichtenberg-Schule) und der IGS Bovenden
Status:öffentlichVorlage-Art:Beschlussvorlage/sonstige Vorlage
Federführend:51-Fachbereich Jugend Beteiligt:50-Fachbereich Soziales
Beratungsfolge:
A. f. Soziales, Integration, Gesundheit und Wohnungsbau Vorberatung
11.12.2018 
19. öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Ausschusses für Soziales, Integration, Gesundheit und Wohnungsbau ungeändert beschlossen   
Jugendhilfeausschuss Entscheidung
13.12.2018 
18. öffentliche/nichtöffentliche Sitzung des Jugendhilfeausschusses ungeändert beschlossen   

Beschlussvorschlag
Sachverhalt
Finanzielle Auswirkungen

Beschlussvorschlag:

 

An den Integrierten Gesamtschulen Göttingen-Geismar und Bovenden wird zum 01.02.2019 im Rahmen eines Modellprojektes eine systemische Schulbegleitung als Poollösung eingeführt. Die Laufzeit des Modells beträgt 3 ½ Jahre und endet am 31.07.2022.

Begründung:  

 

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) sieht in Art. 24 vor, dass die Vertragsstaaten ein inklusives Bildungssystem auf allen Ebenen gewährleisten, um für Menschen mit Behinderung das Recht auf Bildung ohne Diskriminierung und auf der Grundlage von Chancengleichheit zu verwirklichen. Dazu gehört auch die Verpflichtung, angemessene Vorkehrungen für die Bedürfnisse des Einzelnen zu treffen und für Menschen mit Behinderung innerhalb des Bildungssystems die notwendige Unterstützung zu leisten, um ihre erfolgreiche Bildung zu ermöglichen.

 

Gerade die Umsetzung des Rechts auf gemeinsame Bildung ist für die gleichberechtigte Teilhabe von jungen Menschen mit Behinderung für ihren weiteren Lebensweg von grundsätzlicher Bedeutung. Das Bildungssystem hat in diesem Prozess eine Schlüsselfunktion, denn in der frühkindlichen, schulischen und beruflichen Bildung wird die "Gesellschaft von morgen" geprägt. Alle Schülerinnen und Schüler können sich mit ihren Fähigkeiten einbringen. Sie finden die notwendige Unterstützung, die sie in ihren jeweiligen Lernsituationen in der Schule brauchen. Dabei hat sich die Schulbegleitung in den letzten Jahren bundesweit als wichtige Leistung etabliert, die zum Gelingen eines inklusiven Schulsystems entscheidend beiträgt. Sie richtet sich nach dem individuellen Bedarf der Schülerinnen und Schüler mit Behinderung und ermöglicht den Besuch der Schule wie auch den Zugang zu Bildung. Schulbegleitung unterstützt das System Schule, insbesondere schulische Inklusion. Die inklusive Schule fußt auf der o. g. UN-BRK und führte dazu, dass Schülerinnen und Schüler mit einer (drohenden) Behinderung mit dem Gesetz zur Einführung der inklusiven Schule vom 23.02.2012 einen Rechtsanspruch auf Zugang zum Regelschulsystem erhielten.

 

Die Gesamtverantwortung für die Bildung und Erziehung des Schülers und der Schülerin bleibt bei der Schule und gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) sind diese Schülerinnen und Schüler durch wirksame, individuell angepasste Maßnahmen der Schule in den Schulen zu unterstützen. Der Auftrag der Schulbegleitung nach dem SGB XII/SGB VIII bezieht sich ausschließlich auf den jeweiligen behinderungsbedingten Mehrbedarf des Kindes. Ziel von Schulbegleitung ist es, ergänzend zu den Aufgaben der Schule, eine Teilhabe der Schülerinnen und Schüler am Unterricht zu ermöglichen. Sie zielt darauf, eine größtmögliche Selbstständigkeit des Schülers oder der Schülerin zu erreichen und im Laufe der Begleitung die Unterstützung möglichst weit zurücknehmen zu können. Da die Rahmenbedingungen in den Schulen bisher zumeist nicht auf die Bedarfe aller Kinder ausgerichtet sind, macht Schulbegleitung häufig einen Schulbesuch erst möglich oder erleichtert ihn. Sie ermöglicht eine angemessene Schulbildung und kann dabei unterstützen, dass der Schüler/die Schülerin einen Schulabschluss erreicht. Sie kann Schulausschlüsse und Schulabbrüche verhindern. Eine Schulbegleitung ist eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung im Sinne der sozialhilfe-/jugendhilferechtlichen Eingliederungshilfe, wenn sie den Kernbereich pädagogischer Arbeit nicht berührt. Im Kernbereich pädagogischer Tätigkeit besteht keine, auch keine nachrangige Leistungspflicht des Sozialhilfe-/Jugendhilfeträgers weil es sich um originär und ausschließlich schulrechtliche Verpflichtungen handelt. Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit ist allerdings nicht betroffen, wenn die Schulbegleitung die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkraft nur absichert (begleitet). Den Kernbereich pädagogischer Tätigkeit berühren alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste nicht, die flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der behinderte Mensch das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen kann (Urteil des BSG vom 09.12.2016 B 8 SO 8/15 R). Die Gewährung einer Schulbegleitung ist eine Form dieser Leistung. Für Kinder mit einer (drohenden) seelischen Behinderung gewähren die örtlichen Jugendhilfeträger gemäß § 35 a SGB VIII eine Schulbegleitung, für Kinder mit anderen (drohenden) Behinderungsarten besteht dieser Anspruch gegenüber den örtlichen Sozialhilfeträgern gemäß der §§ 53 und 54 SGB XII, soweit nicht vorrangig andere Rehabilitationsträger verpflichtet sind.

 

In Niedersachsen stiegen die jährlichen Aufwendungen für die Schulbegleitungen in der Zeit von 2012 bis 2016 allein in der Sozialhilfe von 33,5 Mio. € um 115 % auf 72,1 Mio. €.

 

Jugend-und Sozialhilfeträger suchen landesweit nach Möglichkeiten, dieses im Kern exklusive System der Schulbegleitung inklusiv auszugestalten und in seiner Wirkung deutlich zu optimieren. Damit sollen einerseits die immer weiter ansteigenden Ausgaben begrenzt, andererseits die Hilfe verbessert und optimiert werden. So wird von einigen Kommunen schon seit mehreren Jahren das Modell einer systemischen Schulassistenz getestet bzw. ist dort die systemische Schulassistenz eingeführt worden. Es ist daher im letzten Jahr eine Projektgruppe aus Vertretern von Landkreis und Stadt Göttingen aus den Fachbereichen 50 und 51, Vertretern von Schulen und Eltern sowie von Leistungserbringern gegründet worden mit dem Ziel, das Modell einer systemischen Schulassistenz in Form einer "Poollösung" zu entwickeln. Dabei erfolgt eine Umstellung der Einzelfallhilfe zu einer systemischen Schulbegleitung, die an der jeweiligen Schule die Bildung eines "Pools" an Mitarbeiter/innen für die Schulassistenz im Rahmen der Eingliederungshilfe ermöglicht. Die Schulen haben die Eltern und Erziehungsberechtigten im Rahmen eines Informationsabends über die beabsichtigte Einführung des Modells informiert. Insbesondere erfolgte diese Information der Eltern und Erziehungsberechtigten bereits im Vorfeld auch für alle zum neuen Schuljahr 2018/2019 aufzunehmenden Schülerinnen und Schüler.

 

Die Vorteile einer systemischen Schulassistenz werden wie folgt gesehen:

 

·Sicherstellung der erforderlichen Schulassistenzen an den Schulen

·flexible und bedarfsgerechte Steuerung

·bewusste Wahrnehmung und Erfüllung des Auftrags Inklusion

·Qualitätssteigerung der Schulassistenz durch bei den Leistungserbringern festangestellte Fachkräfte

·Möglichkeit einer organisierten Vertretungssituation

·effektives Arbeiten durch Bündelung von Expertisen und mehrperspektivische Sichtweise auf Schülerinnen und Schüler, Erziehung und Unterricht

·Erzielung präventiver Effekte

·langfristige Verringerung der Fallzahlen.

 

Grundlage für die Einführung des Modells ist eine Kooperationsvereinbarung zwischen Stadt Göttingen, Landkreis Göttingen, dem jeweiligen Leistungserbringer und der Schule. Überlegt wird, ob und inwieweit auch die Landesschulbehörde in die Kooperationsvereinbarung einzubinden ist. Orientiert hat sich die Projektgruppe an einem Modell der Stadt Köln. Für den Zuständigkeitsbereich von Stadt und Landkreis Göttingen soll das Modellprojekt an der IGS Göttingen-Geismar und an der IGS Bovenden zum 01.02.2019 eingeführt werden und eine Laufzeit bis zum 31.07.2022 haben. Mit den beiden Schulen wird jeweils eine Schule aus dem Zuständigkeitsbereich des Landkreises Göttingen und der Stadt Göttingen mit kontinuierlich hohem Fallzahlaufkommen an Schulbegleitungen berücksichtigt. Für jede Schule wird ein Leistungserbringer zuständig, der den Einsatz der bei ihm angestellten Schulbegleiter/innen gemeinsam mit der jeweiligen Schule koordiniert.  Es handelt sich um ein gemeinsames Projekt der Fachbereiche Soziales und Jugend in Stadt und Landkreis Göttingen, so dass damit einheitliche Förderbedingungen geschaffen werden. Folgende Ziele sollen erreicht werden:

 

·inklusive Förderung durch ein Team statt exklusive Schulbegleitung pro Einzelfall

·Poolkräfte werden als Teil des Schulpersonals wahrgenommen

·keine Einzelverhandlungen über Wochenstunden

·eine Schule = eine Förderform

·Abdeckung der Schulzeiten. Damit kommen Kinder mit Problemlagen im Grenzbereich zum Eingliederungshilfebedarf auch ohne Antragstellung indirekt in eine Betreuungs- bzw. Unterstützungssituation.

 

Folgende Rahmenbedingungen werden für das Modellprojekt vereinbart:

 

·Alle Leistungsberechtigten des entsprechenden Personenkreises, die an dem Modell teilnehmen, werden bedarfsgerecht gefördert.

·Die Bewilligung erfolgt über einzelfallbezogene Kostenanerkenntnisse.

·Es erfolgt eine Bedarfsüberprüfung (Diagnostik), jedoch keine Ermittlung des Betreuungsumfangs im Einzelfall.

·Es werden 40 Wochen pro Schuljahr berücksichtigt.

·Pro leistungsberechtigter Schülerin/leistungsberechtigtem Schüler werden 18 Betreuungsstunden pro Woche kalkuliert und zugrunde gelegt.

·Zusätzlich werden 25 Stunden pro Schüler/in und Schuljahr für Sonderbedarfe (z. B. Freizeiten u.a.) berücksichtigt.

·Für jedes fünfte Kind wird eine 1:1 Betreuung ("Härtefallregelung") eingerechnet. Diese Stunden fließen in das Stundenbudget ein.

·Hieraus errechnet sich ein Gesamtbudget, welches dem System zur Verfügung steht.

Finanzielle Auswirkungen:

 

Vergleichsberechnungen haben ergeben, dass die Anzahl der zu gewährenden Stunden im Rahmen einer systemischen Schulassistenz gegenüber der schulischen Einzelfallhilfe geringer ist, die Leistung, so wird erwartet, jedoch eine bessere ist. Die Einführung setzt voraus, dass die Träger nicht Honorarkräfte, sondern sozialversicherungspflichtig Beschäftigte einsetzen. Dies führt dazu, dass die Einführung der systemischen Schulbegleitung voraussichtlich zunächst zu Mehrkosten führen wird. Ausgehend von der derzeitigen Zahl an Kindern, die an beiden Schulen an dem Modellprojekt teilnehmen, errechnet sich für die Laufzeit des Modells (3 1/2 Jahre) ein Betrag von insgesamt ca. 382.000 €, also ca. 109.000 € pro Schuljahr. Davon entfallen p.a. ca. 72.000 € auf den Landkreis Göttingen und ca. 37.000 € auf die Stadt Göttingen. Allerdings ist hierbei nicht berücksichtigt worden, dass sich durch die Einführung einer systemischen Schulassistenz mittelfristig Einsparungen ergeben werden. Zum einen kann davon ausgegangen werden, dass durch die Festanstellung der Schulbegleitungen eine qualitative Verbesserung der Arbeit eintreten wird, was perspektivisch zu einem Rückgang der Fallzahlen führt. Auch kommen Kinder mit Problemlagen im Grenzbereich zum Eingliederungshilfebedarf früher in eine Betreuungs- bzw. Unterstützungssituation, wodurch präventiv spätere Hilfen vermieden werden können.

 

Die Mehrkosten sind zunächst für die Dauer des Modellversuchs bis zum 31.7.2022 berechnet worden (s. o.). Im Verlauf des Modells ist insbesondere die Kostenentwicklung im Blick zu behalten, um feststellen zu können, ob und inwieweit sich das Modell trägt und eine Ausweitung des Modells auf andere Schulen erfolgen soll.

 

Für die Jugendhilfe sind die Mehraufwendungen im Entwurf des produktorientierten doppischen Haushalts - Haushaltsjahr 2019/2020 berücksichtigt. Für den Bereich des örtlichen Sozialhilfeträgers/Trägers der Eingliederungshilfe1 werden unter Zugrundelegung der für das Modellprojekt vorgeschlagenen Rahmenbedingungen nach gegenwärtigem Stand durch das Modellprojekt für das vom FB 50 zu verantwortende Budget keine Mehraufwendungen erwartet.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1 Hier ist die Stadt Göttingen/FB 50 durch den Landkreis Göttingen zur Aufgabenerledigung herangezogen und beteiligt sich lediglich mit einer Interessenquote von 25 % an den Aufwendungen, die im Übrigen vom Landkreis Göttingen getragen werden.

 
 

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